Noch vor wenigen Jahren war eine Reise durch Kolumbien eine heiße Sache. Das hat sich Gottseidank seit der Einigung mit den FARC Rebellen gebessert. Das sieht man auch am Aufschwung und der Aufbruchstimmung im Tourismus. Viele Anbieter haben wieder Reisen nach Kolumbien, eine Art „Terra Nova“, im Angebot.
Ich liege seit zwei Wochen untätig in unserem Zimmer im Hostal Burgos im Stadtteil Manga, während Monika, soweit in der Hitze möglich, die Stadt erkundet. Das Hostal ist ein liebenswerter Platz, wo unser Auto direkt vor unserem Zimmer mit Aircondition (!) stehen kann. Wir können hier am netten Miteinander der kolumbianischen Großfamilie von Jorge und Marcela, den Betreibern, teilhaben.
Nach einem kleinen Marathon durch die medizinischen Instanzen hier vor Ort und fundierten Empfehlungen aus unserem Freundeskreis zuhause gehe ich aktuell davon aus, dass ich an einem entzündeten Nerv leide. Gottseidank gibt es aber kein akutes Bandscheibenproblem, das eine Operation notwendig machen würde. Leider kann das trotzdem dauern. Kleiner Lichtblick: nach zwei Kortisonspritzen fühle ich mich deutlich besser. Ausserdem bekomme ich eine Physiotherapie.
Interessant sind die täglichen Taxifahrten. Alle Taxis sind winzige billige Viertürer amerikanischer oder asiatischer Produktion. Der Zustand geht von neu bis fahruntüchtiger Schrott. Die alten Fahrer fahren vor sich hin, die jungen Fahrer haben ein Smartphone auf dem Amaturenbrett und bekommen teilweise im Sekundentakt WhatsApp Nachrichten, die sie auch alle ständig beantworten. Nebenbei sehen sie sich schon mal kleine Videos an. Das Ganze bei einem unglaublichen Gedränge auf der Strasse. Jeder Ampelstart errinnert an den Start bei der Formel 1 in Slow Motion, jede noch so kleine Lücke wird sofort besetzt, die Abstände betragen immer nur wenige Zentimeter und die Fahrspuren werden wie wild gewechselt. Dazwischen wuseln jede Menge kleine Mopeds rum. Jeder Zentimeter der Strasse wird ausgenutzt. Einspurige Abbiegungen nach links werden auch gerne noch aus der zweiten oder dritten Spur (geradeaus) genommen. Geblinkt wird hierbei eher selten. Jede Fahrt wird so zu einem Erlebnis.
Nach mehr als zwei Wochen Aufenthalt entscheiden wir uns zur Weiterfahrt Richtung Bogota.
Am Samstag, den 28 Juli geht es nach 53.000 in Nord- und Mittelamerika gefahrenen Kilometern auf dem südamerikanischen Kontinent weiter. Der Weg führt uns die Küste entlang nach Nordosten Richtung Santa Marta. Auf dem Weg durchqueren wir Barranquilla, eine Hafenstadt mit 1,7 Mio Einwohnern und Geburtsort von Shakira. Irgendwann kommen wir in das riesige Marktviertel und ich habe das Gefühl, hier kommen wir nie mehr raus. Ampeln werden abwechselnd rot und grün, ohne dass es weitergeht, vor uns und um uns rum stehen haufenweise Busse kreuz und quer, jeglicher frei Platz ist von Autos, Motorrädern oder Fahrradrikschas blockiert. Das totale Chaos. Es gibt ein unglaubliches Gedränge. Aber irgendwann geschieht das Wunder, es lösen sich einige Knoten und dann geht es ganz langsam mit Gedrängel weiter.
Nachdem wir die Stadt durchquert haben, fahren wir längere Zeit auf einer Art Damm am Meer entlang, links ist das Meer, rechts gibt es sowas wie Sümpfe und flache Lagunen. Einige Ansiedlungen an der Strasse bestehen aus ärmlichen Slums und primitiven Essens- und Partybuden, in denen laute Musik scheppert und sich langsam partywilliges Volk sammelt, schliesslich ist Samstag Nachmittag. Außerdem gibt es viele Verkaufsstände, in denen Shrimps und Fische verkauft werden. Tüten voller Shrimps hängen einfach ohne Kühlung in der Nachmittagshitze. Die Behausungen sind von Müll umgeben, der im flachen Wasser liegt oder schwimmt. Ein Stück weiter draußen in der Lagune sehen wir viele kleine Ruderboote mit Fischern. Man möchte nicht glauben, dass es hier etwas zu fangen gibt. Wie schon oft während unserer Reise kann ich mir wieder einmal nicht vorstellen, wie es sein muss, hier zu leben. Aber die Leute lachen und scherzen und freuen sich offensichtlich schon auf den Abend. Leben ihr Leben…
Kurz vor Santa Marta übernachten wir in einem kleinen Hostal, wo wir unter einem hohen Dach im Schatten stehen können. Trotzdem ist es in der Nacht beinahe unerträglich warm in der Kabine.
Nächste Station soll in den Bergen sein, Playa de Belen. Dort gibt es ausgewaschene Felstürme und Strukturen in einem netten kleinen Naturschutzgebiet. Die Fahrt dorthin, etwa 440km, kostet uns 9 Stunden, denn anders als überall sonst auf der Welt sind hier die LKW`s sehr langsam und halten uns trotz guter Strasse immer wieder lange auf. Wir haben wieder fast 40 Grad und erst am auf den letzten 70km geht es über einen vogelwilden Pass hinauf in die Berge. Die Landschaft ist wunderschön.
Immer wieder stockt der Verkehr, weil große LKW`s sich in den engen Serpentinen mit dem Gegenverkehr „verkeilen“. Erst spät am Nachmittag erreichen wir, zuletzt nach der Durchquerung des kleinen, sehr hübschen Ortes La Playa unser Ziel und parken am Eingang zu dem kleinen Gebiet. Wir sind auf etwa 1.400m und die Temperaturen sind vor allem Nachts endlich deutlich angenehmer als im Flachland.
Monika erkundet die Gegend, ich schone mich und nach zwei erfrischenden Nächten geht es zurück über den wilden Pass, zurück zum Highway 45 Richtung Bogota.
Nach endlosen 300km Fahrt …
…bleiben wir südlich von Bucaramanga zwei Nächte im Hostel Cabanas Campestres hoch an der Kante der Chicamocha-Schlucht, der tiefsten Schlucht Kolumbiens. Der Platz ist ruhig und etwas abgelegen, aber sehr hübsch angelegt mit Blick über die Schlucht.
Gleich nebenan gibt es die Möglichkeit für Tandemflüge mit dem Gleitschirm, aber mit meinem Klumpfuß ist das leider keine Option.
Wir müssen uns noch daran gewöhnen, dass Fahrten über 200km hier
sofort in Richtung Tagesetappen gehen. Die Durchquerung größerer
Städte geht aufgrund des chaotischen Verkehrs jeweils durchaus als
kleines Abenteuer durch. Ansonsten sind wir angenehm überrascht,
denn im Großen und Ganzen ist die Landschaft in Kolumbien sehr
sauber und kultiviert.
Die nächste Etappe ist mit etwa 65km
denkbar kurz und endet auf der Guaimaro Campsite bei Barichara, einem
bekannten, hübschen Kolonialstädtchen.
Der Campingplatz von Jupp und Julia, zwei sehr sympathischen Holländern, liegt an einem Hang mit weitem Blick. Die ganze Anlage ist wunderschön und geschmackvoll in Eigenarbeit gebaut. Jeden Morgen gibt es frisches Brot und die von Julia selbst gemachte Pflaumenmarmelade ist zum Niederknien. Die Frühstücke hier sind ein absolutes Highlight für mich!
Wir treffen hier auf Frank und Clarissa, die mit ihrem Sohnemann im VW-Bus von Patagonien herauf gefahren sind und eine holländische Familie, die in einem gemieteten Hilux mit zwei Dachzelten durch Kolumbien reisen. Wie immer ergeben sich nette Unterhaltungen und wir bekommen diverse Tipps für unsere Weiterreise.
Monika macht Wanderungen nach Barichara und Guane, ich tapse ein wenig in der Gegend herum, was ganz gut funktioniert und mir Mut macht. Einmal gehen wir zusammen zum Essen in den Ort. Sobald wir in einem Restaurant sitzen, geht ein unglaublicher Wolkenbruch nieder. Die Strassen im Ort verwandeln sich in kleine Flüsse. Unsere Fahrt zum Campground in einem TucTuc in der Nacht wird ein Eiertanz, denn auf der Strasse liegen immer wieder große Felsbrocken, die der Regen den Hang herabgespült hat.
Nach vier Nächten zieht es uns weiter nach Villa De Leyva, wo es
viele bekannte Ziele für Ausflüge gibt. Die 200km Fahrt dauert 7
Stunden, wobei wir einfach mal eine Stunde an einer Baustelle warten
müssen. Dass nach der Warterei bei der Weiterfahrt alle Betroffenen
unter Teil- bis Vollabschaltung des Gehirns versuchen, die verlorene
Zeit aufzuholen, führt immer wieder zu sehenswert hirnrissigen
Überholmanövern.
Das hübsche Hostel Renacer, in dem wir
einchecken, liegt auf über 2.300m. Es weht ein starker, kühler
Wind, der die Nacht zu einer erfrischenden Wohltat macht. Morgens
haben wir 17 Grad in der Kabine. Ein Genuss!
Wie bleiben drei Nächte, spazieren durch Villa De Leyva, machen einen Fahrradausflug zum märchenhaften „Lehmhaus“ (komplett aus Ton erbaut!), zum Fossilienmuseum und zum Muisca Archeological Park, einem Ort, der etwas überschwänglich als das hiesige Stonehenge beworben wird. Dabei stehen hier auf einem Feld nur eine ganze Anzahl verschieden großer Steelen, die etwa 2.200 Jahre alt sind und meist ziemlich eindeutig eine Phallusform aufweisen. Der Vergleich mit Stonehenge ist also nicht nur hinkend, sondern höchstens einbeinig.
Am nächsten Tag mieten wir ein Taxi und fahren zuerst zum Paso del Angel, einer kurzen Wanderung über einen teils sehr schmalen Grat mit schönen Ausblicken auf beiden Seiten. Danach sehen wir uns noch das Kloster Santo Ecce Homo an, das um 1620 gegründet wurde und als kolumbianisches Kulturerbe gilt. Es wurde und wird von Dominikanermönchen bewohnt und wird als Ort für Selbstversenkung und Meditation beschrieben.
Nächster Halt auf dem Weg nach Bogota ist die Laguna de Guatavita, ein runder See, der durch den Einsturz eines Hohlraumes in den Bergen entstanden ist. Dieser See spielte bei der Entstehung der Sage um El Dorado eine entscheidende Rolle. Bei der Einführungszeremonie soll hier der goldstaubbedeckte neue Herrscher (El Dorado) der Muiscas jeweils mit einem Floss auf den See hinausgefahren sein und soll hier gebadet haben, wobei von den Zuschauern auch immer viel Gold als Opfergabe im See versenkt worden sein soll. Viele Glücksritter haben hier mit Teils enormem Aufwand nach den sagenhaften Goldschätzen gesucht, das Versprechen der Sage wurde aber nie eingelöst.
Die heutige Fahrt führt durch wunderschöne kultivierte Landschaft mit überwiegender Viehwirtschaft. Sieht aus wie im Alpenvorland oder in der Schweiz. Nur liegt das Ganze etwa 1.500m höher als zuhause.
Wir übernachten ein Stück weiter am herrlichen, 18km langen Tomine
Reservoir See auf einem Privatgelände ohne besondere Infrastruktur.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, sind wir von Pferden umgeben.
Hier soll heute ein Querfeldeinrennen stattfinden und es gibt schon
frühmorgens einen buchstäblichen Aufgalopp. Wir „fliehen“,
bevor wir total eingeparkt werden und fahren weiter zur
Salzkathedrale in Zipaquira, die bei keiner Reise nach Kolumbien
fehlen sollte.
Unterwegs sehen wir sehr viele Radfahrer und
wundern uns. Irgendwo kommen wir dann an einem Graffiti vorbei, das
einen Rennradfahrer in einem gelben Trikot mit der Aufschrift „Der
Stolz meiner Heimat“ zeigt. Alle Radfahrer scheinen hier kurz
anzuhalten. Erst später in Bogota erfahren wir, dass der erst
22-jährige Egan Bernal als erster Kolumbianer vor etwa zwei Wochen
die Tour de France gewonnen hat. Das Graffiti zeigt ihn im gelben
Trikot. Ganz Kolumbien steht Kopf und überall wird geradelt, was das
Zeug hält.
Die in den Jahren 1992 bis 1995 neu erbaute Salzkathedrale (die alte wurde aufgrund eindringenden Wassers geschlossen) gehört zu den herausragendsten architektonischen und künstlerischen Bauwerken Kolumbiens. Sie hat beeindruckende Ausmaße und während der englischsprachigen Führung erfahren wir viele Details zu dem sehr eigenwilligen Bauwerk. Ein Kreuzgang mit 12 Stationen führt hinab in die eigentliche Kathedrale mit ihren drei Schiffen. Viele bildhauerische Arbeiten begleiten die Besucher auf ihrem Weg hinab. Besonders beeindruckt waren wir aber von dem Kreuz im zentralen Kirchenschiff, das 16m hoch und 10m breit ist und absolut plastisch den Eindruck eines frei vor der Rückwand stehenden Kreuzes erweckt. Erst ganz aus der Nähe wird man gewahr, dass das Kreuz in Wahrheit aus der Rückwand herausgeschlagen wurde, also eine Vertiefung in der Wand darstellt. Eine absolut verblüffende optische Täuschung und ein unglaublicher Ort.
Wir übernachten auf dem Parkplatz vor der Kathedrale und werden morgen nach Bogota weiterfahren.
Liebe Monika, lieber Georg
Wie schön zu lesen,dass Ihr wieder unterwegs seid.
Man möchte meinen, lieber Georg, dass durch Deine Beschwerden,( und aus eigener leidvoller Erfahrung weiß ich ,wie ekelhaft lange solche Nervenschmerzen dauern)
Deine schriftstellerische Eloquenz gelitten hätte. Aber nein. Wie immer lasst Ihr uns in Wort und Bild farbenfroh und intensiv an Euren Erlebnissen teilhaben.
Schade, dass wir die Panamericana erst 2021 auf dem Radar haben.
Wenn man Eure Bilder sieht, möchte man gleich starten.
Allerdings steckt auch ein Geheimnis hinter Eurer Tour ,und für mich ist das die Langsamkeit , die Intensität und der individuelle Rhythmus den Ihr beide Euch vorgebt.
Weiter so, wir genießen mit.
Georg weiterhin Besserung!!!
Ganz liebe Grüße Doris
Hallo Georg und Monika,
zunächst freue ich mich sehr, dass es Deinem Bein wieder besser geht!
Mit Begeisterung habe ich Eueren Bericht über Kolumbien gelesen. Hier in Europa sind Informationen über Kolumbien doch eher selten und meist negativ belastet. Euer Bericht zeigt jedoch ein völlig anderes Bild, nette Leute, malerische Ortschaften und eine wunderschöne Landschaft. Einfach großartig!
Ich bin schon gespannt auf die Fortsetzung Euerer Reise durch Kolumbien.
Viele Grüße und weiterhin alles Gute – und entdeckt viel Neues und Interessantes für uns Daheimgebliebene,
Rainer
Na ihr zwei ! Ihr seht beide wieder ( Monika ja immer ! ) sehr gut und zufrieden aus. Auch die “Opa-Oma-Uebung” mit dem Baby kommt sehr professionell rueber !
Freut uns dass es offensichtlich mit Georgs Ruecken wieder besser geworden ist und ihr langsam euren Rhythmus wieder findet.
Weiterhin Alles Gute & viele “Fruehstuecksueberaschungen zum Niederkien”. Liebe Grueße Doris & Josef