Die Finca Sommerwind bei Ibarra und ihr Betreiber Hans sind eine Institution bei den Overlandern und fast alle von uns machen hier Station. Auch das Restaurant (mit Weißbier, Leberkäse, Weißwürsten, etc.) und Cafe (mit selbstgemachten Kuchen) machen uns den Aufenthalt sehr angenehm und es wird nicht einfach sein, wieder von hier wegzukommen.
Endlich treffen wir auch wieder einige Overlander auf Langzeitreisen, mit denen wir die nächsten Tage verbringen werden: Tanja und Paul (Neuseeland/England), Peter und Carola (Fürth) und Nils und Hanne (Dänemark). Andere, darunter ein sehr nettes Paar aus Chile (leidenschaftliche Mountainbiker) sind nur kurz hier und brechen dann wieder auf.
Nach zwei entspannten Tagen fragt uns Hans, ob wir nicht seine verrückte Tour mit ihm machen wollen, eine Tour, die man nirgendwo buchen kann. Die Beschreibung klingt interessant, alle sind dabei und so geht es am Mittwoch (wir ohne unseren Toyota) durch drei Klimazonen hinunter zur Küste. In den drei Tagen der Tour (wir schlafen zweimal in Cabanas in Las Penas am Meer) geht es Schlag auf Schlag. Wir besuchen zuerst eine Kakaoplantage und erfahren, dass es vor der Ablieferung der Kakaobohnen bei der Cooperativa mehrere Trocknungsphasen gibt (teils in der Sonne, teils im Ofen). Bei einem Rundgang durch die Plantage sehen wir die Kakaofrüchte. Gerade rechtzeitig entdeckt Tanja eine kleine, gemein aussehende Schlange am Boden in der Plantage, bevor jemand in Sandalen drauf treten kann.
Am Abend, nachdem wir uns im Pool bei unseren Cabanas entspannt haben, gibt es in einem Restaurant direkt am Meer zwei große Platten mit Meeresfrüchten, die die Augen am Tisch zum Leuchten bringen.
Am zweiten Tag starten wir von Borbon, einer Enklave der Nachkommen ehemaliger schwarzer Schiffssklaven, zu einer lange Bootsfahrt auf dem Rio Cayapas. Hier ums Eck gibt es Orte mit klingenden Namen wie z.B. San Francisco und Valdez. Das ganze Gebiet hier ist netzartig von vielen Wasserarmen durchzogen. Dadurch gibt es viele Inseln, auf denen Dörfer existieren, die nur auf dem Wasserweg erreichbar sind. Da wir hier der Küste ziemlich nahe sind, gibt es einen Tidenhub von bis zu drei Metern. Die Häuser am Ufer stehen deswegen auf Stelzen im Schlamm. Diese Stelzen werden immer höher, je näher wir bei unserer Fahrt der Mündung des Flusses am Meer kommen.
Wir besuchen den kleinen, sehr abgelegenen Ort, La Tolita, der auf eine zwei bis dreitausendjährige (!) Geschichte zurückblicken kann. Hier wurden viele teils sehr schräg aussehende Artefakte aus Ton gefunden. Darunter gibt es große Urnen in denen Leute bestattet wurden, Werkzeuge für den täglichen Gebrauch (z.B. zum Entschuppen von Fischen) und teilweise höchst merkwürdige Gefäße. Solche alten Tonrelikte kann man auch heute noch überall um den Ort finden und es ist nicht leicht, Monika wieder von dort loszueisen (am nächsten Tag wollen wir noch ein privates Museum besuchen, in dem viele gefundene Relikte ausgestellt sind).
Wir fahren weiter in das Naturschutzgebiet Reserva Ecologica Manglares Cayapas, wo es die höchsten Mangroven der Welt zu bestaunen gibt. Diese Mangroven werden bis zu 15m hoch und sehen aus wie Bäume, die auf Stelzen im Schlamm stehen. Da wir unmittelbar an der Grenze zu Kolumbien sind, befinden sich hier auch viele Wasserwege für Schmuggler. Wir fahren in kleine, schmale Wasserkanäle und können aus nächster Nähe Hunderte, wenn nicht Tausende von bunten Krabben sehen, die hier in den Mangroven leben. Schwarzer Schlamm, schwarze Mangrovenwurzeln und bunte Krabben. Ein irgend geartetes Durchkommen über Land ist hier schwer vorstellbar und das Ganze wirkt vielleicht deswegen irgendwie unheimlich.
Auf dem Rückweg besuchen wir eine Plantage für Kokosnüsse. Ein Junge der Familie holt uns frische Nüsse von den Palmen ringsum, die praktisch noch kein Fleisch enthalten, und wir dürfen das süßliche Wasser trinken. Da hier Kokosfleisch produziert wird, werden die Kokosnüsse erst geerntet, wenn sich in den Nüssen das Wasser in Fleisch verwandelt hat. Dann werden die Schalen in schwerer Handarbeit von den Nüssen getrennt und diese verkauft. Diese Kokosnüsse kennen wir auch aus dem Supermarkt bei uns.
Ein Stück weiter dürfen wir das Zuhause unseres Bootsführers, Roberto, besuchen. Hier wird eine nahrhafte Süßspeise aus Zuckerrohrsaft, Kokosfleisch und Erdnüssen hergestellt, die leicht nach Honig schmeckt. Hierbei wird zunächst Zuckerrohr ausgepresst, der Saft in riesigen Kupferkesseln auf offenem Feuer eingedickt, der Sirup dann mit geraspeltem Kokosfleisch vermengt, weiter eingedickt und zuletzt mit geraspelten Erdnüssen vermengt. Eine Art braune, gut riechende Astronautennahrung, kompakt aber sehr energiereich. Andere Firmen stellen aus dieser Masse, die in Blöcken verkauft wird, dann jeweils weiter verfeinerte Süßigkeiten her. Es gibt auch eine Köhlerei für die Herstellung der Holzkohle, die für den Eindickprozess gebraucht wird.
Abends entspannen wir uns wieder im Pool und gehen danach im Ort essen.
Am letzten Tag besuchen wir auf dem Rückweg nach Ibarra erst die Playa de Africa, eine große Bucht, wo es das oben bereits erwähnte private Museum für Fundstücke der alten geheimnisvollen Kultur in dieser Gegend gibt. Gerade als wir ankommen werden wir Zeugen, wie etwa zwanzig Einheimische, die auf archaische Weise ein Fischernetz am Ufer einholen und hunderte Kilos der kleinen gefangenen Fische auf einen LKW verladen. Das ganze Schauspiel wird von jeweils an die hundert Pelikanen, Fregattvögeln und Reihern begleitet, wobei die Pelikane und Fregattvögel versuchen, irgendwie an die Fische im Netz ranzukommen, während die Reiher brav am Ufer warten. Der Vorgang dauert mehr als eine halbe Stunde und wir sehen gebannt zu.
Das Museum San Rafael wird in Eigenregie von einem alten Eigenbrötler betrieben, der keinerlei Hilfe der Regierung bekommt. Sein „Museum“ ist eine große Hütte, in der ein heilloses Durcheinander an Tonartefakten ausgebreitet ist, die zu kleinen eigenwilligen Türmen arrangiert sind. Es gibt weder eine zeitliche noch eine räumliche Ordnung und so kann man nur die vielen, teils äusserst merkwürdigen Darstellungen bewundern. Bei der Betrachtung wird auch augenfällig, dass die damalige Kultur flache Stirnen als schön erachtete. Deswegen wurden den kleinen Kindern Bretter vorne und hinten am Kopf festgezurrt, um bei der Schädelform auf das Schönheitsideal hinzuwirken. Schon irgendwie gruselig, aber daher vielleicht auch der Ausdruck „Brett vorm Kopf“. 😉
Hauptattraktion am dritten Tag ist eine „Zugfahrt“ von Alto Tambo hinunter in den Dschungel. Hier gibt es eine hundertjährige Bahnlinie, die früher Orte im Regenwald bis hinunter an die Küste mit der Zivilisation verband. Nachdem die meisten Orte irgendwann per Strasse erreichbar waren, wurde die Linie vor etwa 40 Jahren vom Staat eingestellt. Seitdem nutzen die Bewohner einiger nur über die Bahnlinie erreichbaren Orte die Gleise privat. Sie haben sich kleine motorbetriebene Fahrzeuge gebaut, die mittels modifizierten LKW-Felgen auf den alten Schienen fahren und bis heute genutzt werden. Mit einem dieser skurrilen Gefährte fahren wir etwa eineinhalb Stunden hinunter in den Regenwald, wo ein Grillmahlzeit auf uns wartet. Die Fahrt ist ein echtes Abenteuer. Das altertümliche Fahrzeug tuckert mit etwa 10 bis 15 km/std über die Trasse, von der meist nur die beiden Schienen im allgegenwärtigen Grün auszumachen sind. Wie marode die Strecke inzwischen geworden ist, sehe ich, besonders auf dem Rückweg, daran, dass die Fahrt bei jedem Wechsel der Räder auf die nächste Schiene mit lauten metallenen Schlägen verbunden ist und wir auf dem Weg mehrmals entgleisen. Jedesmal wird das Fahrzeug mit Hilfe mitgenommenen Balken routiniert wieder auf den rechten Weg bugsiert.
Außerdem streifen wir gefühlt das gesamte Brehms Tierleben von den Büschen, Gräsern und Bäumen, die nur darauf warten, die Strecke wieder ganz im Dschungel verschwinden zu lassen.
Immer wenn wieder irgendwelche gruseligen Käfer und Spinnen auf einem der Passagiere landen, gibt es ein großes Hallo. Mein Fazit wird später lauten: „Ich habe Dinge in diesem Zug gesehen, …“.
Die Trasse führt zeitweise an einem steilen Hang entlang und einmal über eine sehr wieselhaarige Brücke. Das ist ein wenig beunruhigend, denn mein Vertrauen in die vielen wackligen Schienen und verfaulten Schwellen ist eher gering. Immer wieder bewegen sich einzelne Schienen beim Drauffahren des Zuges wie lebende Schlangen und zucken hoch oder hin und her. Irgendwann auf dem Weg fahren wir durch einen Tunnel, der von Fledermäusen bevölkert ist.
Nach etwa 15km (die Strecke selbst wird noch auf etwa 24km befahren) erreichen wir mitten im Nirgendwo einen improvisierten Grillplatz, wo eine bereit stehende Familie sofort mit dem Grillen beginnt. Dieser Platz, mitten im Dschungel vor einem Wasserfall, wirkt wie nicht von dieser Welt. Es ist überall schlammig und sobald unser Essen fertig ist, fängt es an zu regnen, was hier die Regel ist. Wir sitzen also im Nirgendwo an kleinen Plastiktischen auf nassen Plastikstühlen, essen unser nasses, ansonsten gutes Essen und werden selber nass. Wieder einmal ein unglaubliches Erlebnis.
Auch der Rückweg gestaltet sich spannend, speziell für mich, da ich vorne neben dem Fahrer sitzen darf. Zunächst muss unser Gefährt umgedreht werden. Hierfür wird es etwa im Schwerpunkt mit einem Wagenheber aufgebockt und dann von 2 Leuten zu Fuß umgedreht.
Wir sind kaum losgefahren, da halten wir an, weil wir Gegenverkehr erwarten. Nach 10 Minuten kommt uns ein „Zug“ entgegen. Da die Strecke einspurig ist, steigen alle aus dem Gegenzug aus und dann wird der Wagen mit vereinten Kräften von den Schienen heruntergefahren/gehoben und wir können vorbei.
Obwohl wir mit unserer Gruppe schon Überladen sind, steigen unterwegs, mitten im Regenwald noch Indios zu, die aus dem Nichts durch die dichte grüne Wand treten und hinten aufspringen. Der Zug springt zweimal aus den Schienen, einmal bleiben wir stehen, weil der Fahrer plötzlich keinen Gang mehr einlegen kann und da wir stetig nach oben fahren, muss der Fahrer immer wieder Sand auf die Schienen streuen, damit wir nicht stehenbleiben (dieses Vorgehen war früher im Zugverkehr auf entsprechenden Strecken üblich – daher auch der Ausdruck „Gib Sand!“). Als wir gegen Abend wieder zurück am Startplatz sind, bin ich doch froh. Unvorstellbar, dass diese Verbindung tagtäglich von den Einheimischen genutzt wird.
Gegen 20:30 erreichen wir die Finca und lachen bei einem Cerveza gemeinsam über unsere Erlebnisse.
Diese Tour durch drei Klimazonen ist auch deswegen so ungewöhnlich, weil wir ein sehr ursprüngliches Ecuador erlebt haben. Wir haben an diesen drei Tagen keine weißen Touristen gesehen (die Gegend um Esmeraldas ist laut Auswärtigem Amt sowieso eine NoGo-Area) und kein Reiseveranstalter würde es wagen, etwas wie unsere Eisenbahnfahrt in sein Programm aufzunehmen. Eine verrückte Tour eben…
Nach Weissbier und Leberkas eine Oldtimer-Fahrt durch den Dschungel zu einem Grillplatz am Wasserfall – da kann man beim besten Willen nicht mehr erwarten.
Gute Weiterfahrt!
Hallo Ihr zwei,
mich hat eure Abenteuer-Fahrt durch den Dschungel an “Indiana Jones- Jäger des verlorenen Schatzes” erinnert.
Georg der Hut passt scho mal, hat Monika schon den ein oder anderen Schatz ausgegraben 🙂 ?
Viele Grüße
Hallo Ihr Lieben
Es verschlägt mir fast den Atem, wenn ich Eure 3-Klimazonenfahrt nur im Blog durchlebe!!
Allein das ” Grillvergnügen”, lässt mich sämtliche gastrointestinalen Symptome und entsprechende Medikamente ” durchdeklinieren”.
Die Bewerkstelligung der Bahnlinie klappt allerdings , Dank man-power, besser als die Verbindung Pfaffenhofen-München….. wo man permanent steckenbleibt und ein ” Einfach mal aus den Schienenheben bisher wohl noch nicht erwogen wurde” ……… aber unser Verkehrsminister ist auch einfach etwas be”scheuert”?!
Na ja auf jedenfall ist es gut, Euch wieder im Toyota zu wissen.
Also diesen Teil der Reise hätte ich vermutlich ausgelassen , und gäbe es nicht die Fotos dazu ich hätte gemutmaßt dass Georg fabuliert entweder wegen zu viel / oder zu wenig Cervezas.
Als Ihr am Äquator Euren km-Stand preisgegeben habt…. dachte ich mir : beachtlich!
Aber ich denke die ” Währung Eurer Reise” ist die Anzahl Eurer Bilder. Das wäre doch eine echte Quiz-frage!
Passt gut auf Euch auf.
Und weiter gute Fahrt. Liebe Grüße Doris
Hui! Das war ja eine Zugfahrt! Gratuliere, dass ihr das heil überstanden habt :-0 Was ihr nur immer anstellt – Unglaublich!!
Weiterhin alles Gute bei Eurer abenteuerlichen Reise durch die Galaxis!