Die nächsten Wochen verbringen wir in den touristischsten Ecken von Argentinien und Chile zur Hochsaison. Die Einsamkeit hat ein Ende. Seit drei Tagen sind wir in Ushuaia, bummeln durch die Stadt, gehen essen und stehen, zusammen mit den Fahrzeugen anderer Reisender, einfach auf einem Parkplatz am Hafen, denn es gibt keinen geeigneten Campground in der Stadt.
Die Tage sind lang, dauern von (ich schätze) 4 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts. Die Stadt, sehr touristisch und weder schön noch hässlich, ist umrahmt von Bergen, meist weht ein böiger, kalter Wind. Wenig Sonne und viele Wolken wechseln sich ab, immer wieder regnet es kurz. Vermutlich nicht zuletzt deswegen will sich die erwartete Euphorie über das Erreichen dieses Umkehrpunktes irgendwie nicht einstellen. Es gibt ja auch immer noch viel zu sehen.
Jeden Tag laufen Kreuzfahrschiffe ein, dann wird es einige Stunden quirlig in der Stadt, Busse mit satten, lauffaulen Touristen schwärmen in die Umgebung aus. Irgendwann ertönt das beeindruckend tiefe Schiffshorn, dann müssen alle Kreuzfahrer zurück aufs Schiff zum nächsten Essen (?), die Pötte fahren ab und es wird wieder deutlich ruhiger. Viele Reisende buchen auch kleine Kreuzfahrten in die chilenischen Fjorde oder in die Antarktis, die von hier aus starten.
Heute ist ein trauriger Tag für uns, denn heute morgen haben wir erfahren, dass zuhause unsere geliebte Katze Lucy gestorben ist. Passend dazu sind die weiteren Wetteraussichten bescheiden und so nutzen wir den letzten schönen Tag für einen Ausflug mit Übernachtung in den nahen Nationalpark Tierra del Fuego. Aber auch die kleinen Wanderungen dort können uns heute nicht aufheitern. Am besten gefällt uns das kleine heimelige Postamt (mit Bullerofen), das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Da es im Park keine Geschäfte geben darf, ist das Postamt spitzfindig auf einem Steg im See erbaut worden. Der See selbst ist nämlich rechtlich gesehen außerhalb des Parks.
Die echte Dampflok der kleinen Schmalspur-Eisenbahn, die irgendwann im Park von Gefangenen (was für die einen Australien war, war für die anderen Feuerland) für die Touristen gebaut wurde, sieht aus wie ein übergroßes Spielzeug.
Nach unserer Rückkehr in die Stadt treffen wir die MAN Fahrer Klaus und Irmgard und Marko und Sonja wieder. Sehr nett. Es ist wieder kalt, stürmisch und regnet immer wieder. In den Bergen schneit es. Wir besuchen die beiden Museen hier unten am Hafen, die gebotenen Exponate und Informationen sind aber eher dürftig. So erledigen wir einige organisatorische Dinge und unsere Korrespondenz, aber eine richtige Entspannung fühle ich nicht. Am Abend gehen wir mit Klaus und Irmgard, sowie Ralf und Ute (Unimog) im Ort Essen und haben eine gute Zeit. Aber irgendwie drückt das Wetter aufs Gemüt und so brechen wir am nächsten Morgen unsere Zelte ab und fahren wieder los. Bevor es endgültig nach Norden geht, zweigen wir nach 30km auf der Ruta 3 noch nach rechts auf die Ruta Provincial 33 ab. Diese Schotterstraße führt östlich von Ushuaia wieder hinunter zum Beagle Kanal und endet dort nach 90 km. Dieser Endpunkt ist tatsächlich der südlichste Punkt, der mit dem Auto auf normalen Strassen erreicht werden kann und deswegen ein Muss für viele Overlander. An der Strasse wird an mehreren Stellen gebaut, wir treffen auf viele Baufahrzeuge. Sieht so aus, als ob ausgerechnet hier eine vierspurige Autobahn entstehen soll. Dies ist überdies die einzige Straßenbaustelle in Argentinien, an der wir Aktivitäten gesehen haben. Irgendwie verrückt. Erst auf der zweiten Hälfte, wo die Strasse eher am Meer entlang führt, wird die Umgebung interessant. Wir fahren durch Wald mit teils großen Bäumen (lauter Laubbäume !). Am Ufer sind die Bäume vom Wind in einen malerischen schiefen Wuchs gezwungen worden. Wir sehen sehr viele Vögel und die Fahrt gefällt uns gut. Fast am Ende der Strasse bleiben wir am Ufer eines kleinen Flußes, der hier ins Meer mündet, stehen, um zu übernachten. Leider bleibt es regnerisch.
Am Morgen stellen wir fest, dass diese Strasse touristisch gesehen fest in deutscher Hand ist. Nicht weniger als 6 Fahrzeuge mit deutschsprachiger Besatzung zählen wir auf dem Weg zurück auf die Ruta 3. Wir machen noch bei Klaus und Irmgard auf ein Schwätzchen Halt (sie haben etwa auf halber Strecke übernachtet) und essen in dem winzigen Ort Puerto Almanza in einem winzigen Lokal, das aussieht, wie eine aus Sperrmüllteilen zusammengeschusterte Pommesbude. Die launige Wirtin und die gute Stimmung im Laden machen den optischen Eindruck mehr als wett. Allerdings können wir uns nicht überwinden, eine der monstermäßig aussehenden Kings Crabs, die hier angesagt sind, zu essen.
Am späten Nachmittag erreichen wir den kauzigen Campground Hain in Tolhuen. Der sehr nette Besitzer baut Kunstobjekte aus Schrott, die er überall auf dem Platz aufstellt, und zeigt uns voller Stolz seine Modelleisenbahn. Deren Gelände ist ebenso überfrachtet wie der ganze Campground. Zusammen mit anderen Overlandern haben wir einen sehr unterhaltsamen Nachmittag und Abend.
Eigentlich wollten wir von Porvenir nach Punta Arenas auf dem Festland übersetzen, entscheiden uns dann aber unterwegs wegen des starken Windes spontan, wieder über die kleine Fährstrecke an der Ruta 3 überzusetzen, da die Überfahrt hier durch den Wind weniger gefährdet ist. Der böige Seitenwind zeigt speziell bei Begegnungen mit LKW`s die unangenehme Eigenschaft, unser kleines Womo beim Verlassen des Windschattens einmal kurz und ruckartig durchzuschütteln. Bei Gegenwind muss ich bei den kleinsten Steigungen in den dritten Gang wechseln. Ich kann mich kaum noch erinnern, wann ich zuletzt in den 5. Gang geschaltet habe. Diese Insel hat definitiv den falschen Namen. Sie sollte besser „Sturmland“ heißen. Rund um das Kap Horn sollen an die 800 Schiffswracks liegen und mehr als 10.000 arme Teufel ertrunken sein. Das wundert mich nicht.
In dem kleinen Ort Cerro Sombrero, einer Öl-Siedlung aus den 60er Jahren ohne jedes Flair, machen wir einen Tag Pause, um, so gut es eben geht, an einem wichtigen Familienereignis zuhause teilzunehmen. Alles klappt soweit gut und so sind wir, ein wenig traurig und glücklich zugleich, wenigstens indirekt live dabei. Die moderne Technik machts möglich. 🙂
Am 20.1.2020 verlassen wir Feuerland wieder mit der Fähre und fahren noch bis Punto Arenas in Chile weiter, wo wir am Fährhafen übernachten. Laut Wetterbericht solle es noch einen Tag ganz schön sein, dann beginnt wieder eine lange Durststrecke mit viel Regen. Also verbringen wir einen entspannten Tag, laufen durch die Stadt, die uns gut gefällt, auch wenn sehr viele Schaufenster und auch Eingangstüren mit Brettern oder Blechen vernagelt sind. Auch hier scheint es an den Freitagen hoch her zu gehen.
U.a. besuchen wir den Friedhof. Dort gibt es u.a. eindrucksvolle Familien-Mausoleen der sehr reichen Schaffarmer, die es hier einmal gegeben hat. Der Zustand der Grabstellen reicht von verwahrlost bis überbordend, von konservativ bis kitschig, von einfach bis übermotiviert. Sehr interessant.
An einem Stand im Künstlermarkt findet Monika einen schönen Ring (passend als Erinnerung an die südlichste Ecke unserer Reise) und wir laufen zu einem Aussichtspunkt in der Stadt hinauf.
So hangeln wir uns durch den Tag und übernachten 50km südwestlich am Meer, nahe dem Hungerhafen, wo wir uns mit Otto und Anette treffen.
Der Name Hungerhafen (Puerto del Hambre), an den nur noch ein Monument erinnert, rührt von der Zeit um 1584 her. Hier hatten sich an die 300 spanische Siedler (Bauern) niedergelassen, die sich allerdings nicht wie geplant vom Land ernähren konnten und alle verhungert sind!
Ebenso befindet sich hier ein verblüffendes Monument: die geografische Mitte von Chile! Nimmt man ganz Chile von der nördlichen Grenze nach Peru bis zum südlichen Ende des Anteils Chiles an der Antarktis, dann ist hier, für uns gaaanz im Süden, eigentlich erst genau die Mitte.
Am
nächsten Tag geht es zurück nach Punto Arenas und dort in ein
Freilichtmuseum, in dem die Nachbauten mehrerer Schiffe ausgestellt
sind:
a) die Victoria (aus dem Verband von Magellan, die wir
auch schon in San Julian in Argentinien gesehen haben)
b) die
HMS Beagle, mit der Charles Darwin 1831 als 22-jähriger unter dem
Kapitän Fitz Roy von der englischen Marine, seine 5-jährige
Forschungsreise um die Welt begann. Diese Reise und sein
illustrierter Bericht darüber haben ihn berühmt gemacht.
c)
die Ancut, ein Schoner, mit dem die ersten Siedler Chiles 1843 in die
Magellan-Strasse segelten, um dort die erste chilenische Siedlung,
Fort Bulmes, zu gründen. Hiermit sollte der Anspruch Chiles auf das
Territorium verdeutlicht werden.
d) die James Caird, das nur
etwa 7m lange Beiboot der Endurance, mit dem Shakleton mit zwei
seiner Leute bei seinem berühmt gewordenen Versuch der Durchquerung
des antarktischen Kontinents (ab 1914) in einem
Himmelfahrtsunternehmen losgesegelt ist, um Hilfe für seine auf dem
Eis gestrandete Mannschaft zu holen. Erst der vierte Rettungsversuch,
von Punto Arenas aus mit einem chilenischen Schiff gestartet, war
letztlich erfolgreich. Alle gestrandeten Expeditionsteilnehmer
konnten nach fast einem Jahr gerettet werden. Ein Wunder.
Jedes
dieser Schiffe ist eng verbunden mit einer spannenden, entsprechend
berühmten und/oder tragischen Geschichte.
Da schon später Nachmittag, bleiben wir gleich nördlich von Punta Arenas im Parque Chabunco. Direkt an der Steilküste über der Magellanstrasse trinken wir gemütlich Kaffee.
Nächstes Ziel ist Puerto Natales, das Tor zum weltbekannten Torres del Paine Nationalpark. Wir lassen uns Zeit und genießen bei fast schönem Wetter die Fahrt durch die Pampa, die später von herrlichen Blumenwiesen und den eigenartigen Wäldern abgelöst wird, die wir schon aus Ushuaia kennen. Puerto Natales empfängt uns mit Aprilwetter, es stürmt und immer wieder gehen Regenschauer nieder. Wir übernachten über dem Ort auf einem kleinen Hügel mit unverstelltem Blick auf das dramatische Wettergeschehen.
Puerto Natales empfängt uns mit Aprilwetter, es stürmt und immer wieder gehen Regenschauer nieder. Wir übernachten über dem Ort auf einem kleinen Hügel mit unverstelltem Blick auf das dramatische Wettergeschehen.
Nachts ist es sternenklar, morgens ist wieder alles dicht. Ohne große Erwartungen fahren wir in den Nationalpark weiter, wo wir am Nachmittag am Lago Grey ankommen, an dessen Ende der große Grey Gletscher endet. Um eventuell einen Blick auf diesen Gletscher zu erhaschen machen wir am späten Nachmittag gleich noch eine kleine Wanderung zu einem Aussichtspunkt auf einer Halbinsel im See. Sehr bald werden wir eines kleinen Eisbergs ansichtig, der sicher 10km den ganzen See herunter getrieben wurde und hier an unserem Ende auf Grund gelaufen ist. Wir haben sogar ein wenig Glück mit dem Wetter und können sowohl den Gletscher als auch einige der steilen Bergspitzen sehen und fotografieren. Das ist angesichts des stürmischen Regenwetters mehr als wir erwartet hatten. Um so mehr freuen wir uns über das unverhoffte Glück.
Wir übernachten gleich neben Klaus und Irmgards MAN auf dem Parkplatz.
Der nächste Tag bringt eine bleiche Sonne hervor, wir fahren weiter Richtung Osten und haben sowohl einen tollen Blick auf die Gipfel des Paine Grande Hill Massivs als auch auf die spektakulären Cuernos del Paine. Immer wieder bleiben wir stehen um Fotos zu machen.
Auf halbem Weg zum Torres Hotel, wo wir hoffen, auf Susanne und Michael zu treffen, mit denen wir Weihnachten gefeiert haben, machen wir eine Wanderung zum Cuernos Lookout. Der Wind bläst zeitweise so stark, dass man sich in den Böen kaum auf den Beinen halten kann. Monika macht kehrt, weil ihr der Wind unheimlich ist. Auf den fast windstillen Passagen des Weges ist es dagegen angenehm warm. Am Ende des Weges, am Aussichtspunkt, heult wieder der Wind und zerrt an mir, der Regen peitscht mir ins Gesicht und an Fotografieren ist nicht einmal zu denken. Patagonien ist ein rauhes Land.
Auf
der weiteren Fahrt haben wir jedoch immer wieder traumhafte Ausblicke
auf die verschiedenen Massive im Park. Am Parkplatz beim Torres
Hotel, von dem aus die große, bis zu 10-tägige Rundwanderung im
Park startet, treffen wir tatsächlich auf Susanne und Michael, die
heute eine große Wanderung zum Torres Basislager mit Blick auf die
drei Torres Türme gemacht haben. Am Abend sitzen wir bei einem Bier
zusammen und feiern unser wenn auch kurzes Wiedersehen. Die beiden
hatten sogar das Glück, am Abend vorher einen Puma zu sehen, der
direkt hier am Campground vorbeigelaufen ist. Am Morgen trennen sich
unsere Wege dann auch schon wieder, denn die beiden wollen noch nach
Ushuaia, während wir ja bereits wieder auf dem Weg nach Norden sind.
Heute ist ein strahlend schöner Tag und bei der Fahrt zur
Laguna Azul ganz im Osten machen wir wieder viel zu viele Fotos, aber
die Ausblicke werden bei jedem Stop
noch schöner. 😉
An der Laguna Azul laufen wir, wieder mit Ausblick auf die Torres, einige km am See entlang und bleiben danach gleich auch über Nacht stehen, wieder neben Klaus und Irmgard.
Jetzt heißt es wieder Fahrtag, denn wir müssen aus dem Park wieder hinüber nach Argentinien auf die Ruta 40 und dann nach Norden, um El Calafate zu erreichen. Die Fahrt von fast 400km durch die flache Pampa, entlang an Zäunen rechts und links der Strasse, ist eher eintönig, der Wind ist wieder unser ungeliebter Gegenspieler. Der 5. Gang wird geschont. Ich stelle mir vor, dass hier unten der Begriff „Schongang“ erfunden wurde. Am 28. Januar erreichen wir El Calafate.
Lieber Georg, liebe Monika
Trotz lange fehlendem Kommentar bin ich ,Dank Josef‘s intensiver Korrespondenz mit Euch ,auf dem Laufenden und interessiert dabei !
Man spürt förmlich die , sowohl psychisch als auch physisch, anstrengende Zeit am Ende der Welt, aber lieber Georg, Deine Beschreibungen der z.T. faden und gesichtslosen Orte und das „schriftstellerische Schmunzeln“ bei der Erwähnung von Skurilitäten( siehe Schrottkünstler) und die Bereitschaft all das wahrzunehmen und als Teil Eurer Reise zu abzuspeichern finde ich grandios.
Ihr werdet , Dank Eurer und des Toyota‘s Anstrengung ja auch immer wieder belohnt durch unbeschreiblich tolle Naturschauspiele .
Das Jahr 2019 und Eure Reise hat auch bei mir einiges verändert.
Das Ende der Praxiszeit und das flexible Arbeiten in den Diensten hat eine Dimension von Freiheit und Wohlbefinden erzeugt, die meinen Blick auf Eure Reise verändert hat.
Vom anfänglichen : toll , aber nicht vorstellbar ( denn mir ist schon klar , dass nebst unvergleichlichen Erlebnissen auch Durststrecken zu bewältigen sind) zum „wow“ ….. ich will auch vieles sehen , zum: Josef jetzt müssen wir aber los !! Und so sind wir in freudiger Vorbereitung der Afrika-Reise.
Das Leben zu Hause läuft ja weiter und Ihr bekommt ja sogar noch „familiäre Zuckerl“ dazu.
Ich glaub, mir müssen bald los damit sich „da“ mal was tut bei unserer „Brut“?
Ich wünsche Euch von Herzen noch eine genussvolle Zeit „ im Hier und Jetzt“ …………. Euch dort zu wissen erzeugt eine Nähe auf ganz besondere Weise.
Ganz liebe Grüße, Eure Doris
Hallo
wieder tolle Erlebnisse, aber man liest zwischen den Zeilen, daß es so langsam reicht. Ich finde den bisherigen Enthusiasmus im Text nicht mehr. Kopf hoch, geniest die letzten Monate, zuhause läuft nicht weg und ihr werdet dann mit Sehnsucht zurück denken.
Grandiose Bilder. Genießt es weiterhin!